Das Archivprojekt „Metternichgasse 12“ wurde aus Anlass des 65-jährigen Bestehens der Filmakademie Wien vom Fachbereich Medien- und Filmwissenschaft initiiert und widmet sich der Geschichte der einzigen universitären Filmausbildungsstätte des Landes.
Text: Albert Meisl, Kerstin Parth
Die Filmakademie Wien ist Legende. Beginnend beim ersten Jahrgang 1952, in dem sich nicht nur die großen Avantgardefilmer Peter Kubelka und Ferry Radax befanden, sondern auch der 2006 verstorbene Franz Josef Gottlieb, der noch in „Papas Kino“ mit Edgar Wallace- und Karl May-Filmen eine große Karriere gemacht hat. Darauf folgten die siebziger Jahre, in denen sich die Filmakademie Wien zur Wiege des, damals noch stark im Fernsehen beheimateten, österreichischen Autorenfilms entwickelte. Namen wie Fritz Lehner, Käthe Kratz, Kitty Kino oder Lukas Stepanik sind in dieser Zeit in den AbsolventInnenlisten zu finden. Ab den achtziger Jahren scheint es dann so, als hätten nahezu alle namhaften österreichi- schen Filmemacherinnen und Filmemacher ihrer Generation auf der Filmakademie Wien studiert, etwa Götz Spielmann, Michael Glawogger, Ulrich Seidl, Angela Summereder oder Wolfgang Murnberger.
In den neunziger Jahren schließlich begründete sich die Sonderstellung des Hauses als Ausbildungsstätte für talentierte und weltweit erfolgreiche Filmschaffende endgültig. Denn mit Barbara Albert, Jessica Hausner, Mirjam Unger und Antonin Svoboda war die Filmakademie Wien Synonym für den jungen österreichischen Film geworden, ein Kino von Weltgeltung, das auf einmal in der Lage war, internationale Preise bei den großen Filmfestivals zu gewinnen. Die Filmkritik fand einen Begriff dafür: „Nouvelle Vague Viennoise“. Auch die Lehrenden dieser Jahre sollen nicht unterschlagen werden: Mit Peter Patzak und Wolfgang Glück in der Regieklasse, mit Christian Berger und Walter Kindler als Kameraprofessoren sammelte sich in dem ehemaligen Palais in der Metternichgasse 12 die Crème de la Crème der österreichischen Filmkultur. Nur konsequent, dass Michael Haneke 2002 die Regieprofessur des emeri- tierten Wolfgang Glück übernahm und seitdem zahlreiche junge Studierende in ihrer Ausbildung unterstützt hat.
Die hohe Bedeutung der Filmakademie Wien für das historische und gegenwärtige Kunst- und Kulturschaffen ist Grund genug, sich nun in einem umfassenden Forschungsprojekt mit dem Titel „Metternichgasse 12. Eine Archäologie“ der Geschichte des Hauses zu widmen.
Viele der an der Akademie entstandenen Filme schlummern bis heute unentdeckt in den Archiven, nur selten wurden ehemalige Studierende zu ihren Ausbildungsjahren befragt.
Die Einrichtung eines Fachbereichs für Medien- und Filmwissenschaft im Jahr 2012 bot die Gelegenheit, sich einer gründlichen Erforschung der Institutionengeschichte und der spezifischen Praxis des Filmemachens an der Filmakademie Wien zu widmen. Anhand der systematischen Er- schließung des Aktenbestandes und von Gesprächen mit ehemaligen Studierenden und Lehrenden eine fundierte Historiographie zu erarbeiten, aber auch zu ergründen, wie das filmische Schaffen der Akademiestudierenden von den Anfängen bis jetzt in ihrer Vielfalt ausgesehen hat, ist seitdem eines der Ziele des Forschungsprojekts.
So berichtete etwa Peter Kubelka in einem mehrstündigen Oral-History-Interview davon, dass in der Frühzeit der Akademie keinerlei Filme gedreht wurden, sondern lediglich Theorievorlesungen besucht und zum Abschluss ein Drehbuch vorgelegt wurde. Dabei sei, so Kubelka, das Interesse des Hauses gewesen, junge Menschen der Branche zuzuführen, also künftige Regie- und Kameraassistentinnen und -assistenten für die Rosenhügel-Studios auszubilden anstatt die Möglichkeiten des Mediums Film zu ergründen.
Der Kontrast zu den ebenfalls auf Video aufgezeichneten, umfangreichen Gesprächen mit Barbara Albert könnte nicht größer sein: Für sie war die Filmakademie Wien in den neunziger Jahren ein Ort des freien experimentellen Arbeitens, in dem sie ihre eigene, signifikante Handschrift als Autorenfilmerin finden und entwickeln konnte. Ihre Studentenfilme wie Die Frucht deines Leibes (1994) oder Sonnenflecken (1996) sind zum großen Teil kanonisiert und breit rezipiert. Dasselbe gilt auch für die frühen Werke von Filmschaffenden wie Götz Spielmann, Ulrich Seidl oder Kathrin Resetarits. Doch daneben sind an der Filmakademie Wien über die Jahrzehnte hunderte, wenn nicht gar tausende weitere Filme entstanden.
Filme, die unbekannt oder vergessen sind. Filme jenseits des Kanons, die teilweise nur ein- oder zweimal aufgeführt wurden. Filme, deren Qualität zur Zeit ihrer Entstehung unterschätzt wurde. Der Erforschung und Sichtbarmachung dieser Arbeiten hat sich das Forschungsprojekt gewidmet und dabei schon einige Juwelen entdecken können. Darunter ist mit Österreich, dein Herz ist Wien von 1957 einer der ersten Akademiefilme überhaupt, ein unter der Leitung des Filmakademie-Gründers Walter Kolm-Veltée entstandener Kulturfilm, der – Heimatfilmen gleich – ein Bild Wiens als Stadt der Gemütlichkeit und des Frohsinns konstruiert, die touristischen Schönheiten Wiens preist, dabei aber die Kriegs- und Nachkriegszeit konsequent ausspart. Aber auch Peter Sämanns All About Nothing aus dem Jahr 1969, ein erstaunlich experimentierfreudiger filmischer Trip durch den Wiener Underground, oder Fritz Lehners subtil inszeniertes Beziehungsdrama Hanna und Valentino (1974), das jenseits der Abnahme als Diplomfilm in der Metternichgasse 12 nie zu sehen war und lange Zeit als verschollen galt.
Seit Oktober 2020 hat die Filmakademie Wien eine neue Adresse im Future Art Lab (FAL) am Campus der mdw am Anton-von-Webern-Platz 1.
Zum Abschied von der Metternichgasse 12 gibt Albert Meisl, Drehbuch- und Regiestudent nochmals einen sehr persönlichen Rückblick auf die Geschichte und den Geist des Hauses.
Nachzulesen >hier.