Joshua Jádi studiert Regie an der Filmakademie Wien. Im Sommer 2020 begleitete er mit einer dreiköpfigen Filmcrew unter widrigsten Umständen den bedeutenden Marš mira (Der Friedensmarsch), der jährlich an die Kriegsverbrechen in Srebrenica in Bosnien und Herzegowina erinnert.
Während des Ausbruchs des Covid-19-Virus in Europa im März 2020 wird Joshua Jádi, Regiestudent an der Filmakademie Wien, auf das Vorhaben einer Bekannten aufmerksam, die im Sommer 2020 den Marš mira, die Wanderung im Gedenken an den Genozid von Srebrenica, plant. „Ich wollte der Familie dieser starken Frau, die ich seit 25 Jahren kenne und die den Weg im Gedenken an ihren Bruder zu Ende gehen möchte, etwas zurückgeben“, beschreibt Joshua Jádi sein Hauptmotiv für den Dreh des Dokumentarfilms. „Und mir war bewusst, dass sie nur einmal die Energie aufbringen würde, diesen schwierigen Weg anzutreten.“
Joshua Jádi beginnt umgehend mit der Planung des Projekts, muss jedoch bereits nach wenigen Tagen wieder abbrechen – Österreich befindet sich im ersten Lockdown.
Im Zuge des Dokumentarfilmunterrichts an der Filmakademie im Sommersemester beschließt Jádi, das Projekt zunächst als Modellversuch weiterzudenken. „Plötzlich kam die Nachricht aus Bosnien, dass der Marsch trotz Corona stattfinden soll, da sich 2020 der Gedenktag zum 25. Mal jährt. Dadurch habe ich wieder Hoffnung geschöpft, das Projekt doch realisieren zu können.“ Die kommenden Wochen stellen sich für den engagierten Dokumentarfilmer als besonders nervenaufreibend dar. Täglich schwankt das Projekt zwischen Realisation und Scheitern. „Niemand wusste, was morgen sein würde. Das machte es auch so schwierig herauszufinden, was möglich sein wird“, erinnert sich Joshua Jádi. Trotz so mancher Gedanken ans Aufgeben entschließt er sich weiterzumachen. „Wenn die ganze Welt stillsteht, ist es unsere Aufgabe, rauszugehen und zu filmen, was gerade passiert. Denn wir sind in der Pflicht, das Zeitgeschehen festzuhalten.“
Der nächste Rückschlag folgt, als der Regisseur erfährt, dass aufgrund von Covid-19 nur hundert Männer den Marš mira begleiten dürfen. „Kurzerhand habe ich überlegt, unsere Protagonistin als Übersetzerin mitzunehmen. Die Regierungsstellen in Bosnien haben mir schließlich eine Erlaubnis ausgestellt, dass ich mit meiner Crew, limitiert auf drei Leute, für drei Tage unter bestimmten Sicherheitsvorkehrungen den Marsch begleiten darf.“
Wieder folgt ein Hindernis, diesmal kurz vor Drehbeginn. Drei Tage vor der Abreise wird in Österreich die rote Warnstufe ausgerufen und die Universität geschlossen, mit der Folge, dass Jádi und seine Crew nicht mehr auf das Equipment der Filmakademie zurückgreifen können. „Es war sehr frustrierend, denn obwohl ich von der Filmakademie so gut es ging unterstützt wurde, musste ich den Dreh nun selbst finanzieren. Zudem war ein Teil der Crew bereits vor Ort, wir konnten daher unser Vorhaben nicht mehr stoppen.“ Innerhalb weniger Tage organisiert Joshua Jádi eigenes Equipment. Finanzielle Unterstützung wird ihm kurzerhand über die Soforthilfe der hmdw zugesichert. „Schließlich sind wir mit dem Gefühl losgefahren, dass unser Projekt unterwegs noch scheitern wird.“
Trotz der zahlreichen Widrigkeiten können die Dreharbeiten schließlich beginnen. Die vielen Bilder, die dabei entstehen, beschreibt Joshua Jádi als eindrucksvoll und verstörend zugleich. Durch die Umstände der Corona-Pandemie erinnern sie an die damalige Zeit: „Der Marsch wurde vom Militär begleitet. Menschen werden aus ihren Zelten geholt, um ihnen Fieber zu messen. Das sieht im ersten Moment so aus wie damals“, erzählt der junge Regisseur über seine Beobachtungen.
Die Strecke, die während des Marš mira zurückgelegt wird, ist 90 km lang und erinnert an die Strecke, die die Flüchtlinge im Juli 1995 überwinden mussten, um nach Tuzla an der Grenze des bosnischen Gebiets zu gelangen. Die Gedenkwanderung beginnt am Ziel der damaligen Flüchtlingskolonne und endet beim Srebrenica-Genozid-Denkmal in Potočari. „Die Wanderung wird normalerweise von rund 8.000 Menschen begleitet. 2020 waren es aufgrund von Corona um ein Vielfaches weniger. Wir waren auch die einzige Filmcrew, die den Marsch begleiten durfte.“
Trotz der vielen Hindernisse und Rückschläge im Zuge der Planung und Umsetzung haben es Joshua Jádi und seine Crew geschafft, den Film fertigzustellen. „Wir stehen hier im Dienst einer größeren Sache. Wichtig sind nicht wir oder der Film, sondern das Zeitdokument, das am Ende entstanden ist. Und dass ich der Familie unserer Protagonistin zeigen kann, was für eine starke, tolle Frau sie ist. Diese Motivation hat mir jeden Tag Kraft gegeben weiterzumachen.“
Text: Susanne Gradl
Der Text ist Teil des Specials „Resilizenz“, erschienen im mdw Magazin Oktober/November 2021.